Das ist mein zweites Märchen das ich schreibe. Wie ich dazu komme und wo das erste Märchen abgeblieben ist, möchtest du wissen?
Vor ein paar Wochen habe ich auf Instagram die Geschichte vom Schneeglöckchen in die Stories geschrieben (die Geschichte ist nicht von mir). Eine liebe Bekannte, die übrigens auch ganz wundervolle Bücher schreibt und illustrtiert, hat mich gefragt, ob ich vielleicht auch eine kurze Geschichte über den Monat April für sie und ihr nächstes Buch hätte. Hatte ich nicht. Zumindest keine eigene, die ich geschrieben habe. Ich habe also vieeeeele Tage überlegt, ob mir etwas Schönes zu dem Thema einfällt und mich dann einfach mal daran versucht. So habe ich ein Märchen über das Aprilwetter mit Haruki und ihrem Großvater Joris als Protagonisten erfunden.
Ein ganz kurzes Vorwort zu dieser Geschichte, damit du weißt, wer Haruki und Joris sind:
Haruki ist das Frühlingskind und Joris ist der Gott des Frühlings. Sie lebten viele, viele Jahre zusammen in einer kleinen Hütte im Wald. Joris hatte in jedem Jahr die Samen aller Pflanzen und Bäume im Wald gesammelt um sie im darauffolgenden Frühling wieder auszusäen. Als Joris zu alt für diese Arbeit war, also so etwa 900 Jahre schätze ich, übernahm Haruki diese schöne Aufgabe von ihm. Und sie ist bis heute noch im Wald unterwegs um dafür zu sorgen, dass in jedem Jahr wieder alles schön wächst und blüht.
Aber nun zu der aktuellen Geschichte, die leider etwas traurig beginnt:
An der Stelle, wo gerade eben noch Joris in seinem alten Schaukelstuhl gesessen hatte, lag jetzt nur noch ein kleiner Tannensamen auf dem Kissen. Er sah aus wie ein Schmetterlingsflügel. Haruki nahm ihn in ihre Hand und schaute traurig zu den Sternen hoch. Tränen kullerten ihr über die Wangen.
Sie würde ihn an einen ganz besonderen Ort pflanzen und wusste auch schon ganz genau, wo.
Es gibt da diese Steile Karwand, die zu einem wundervollen See hinabführt. Früher, als Großvater noch gut zu Fuß gewesen war, waren sie hier oft hinuntergestiegen. Der Weg führt über große Steinblöcke und Baumwurzeln hinweg durch einen wundervollen Wald hinab zum Wildsee. Hier saßen sie dann oft stundenlang. Selbst wenn oben ein eisiger Wind über den Berg wehte, war es hier unten meistens angenehm warm. Joris erzählte ihr Geschichten und erklärte ihr, dass dieser See nach dem Abschmelzen der Gletscher zurückgeblieben ist, welche die Umgebung vor mehr als 10 000 Jahren abgeschliffen haben. Haruki stellte sich immer vor, wie es hier früher wohl aussah.
Sie erinnerte sich auch noch an diesen alten Baum der am Wegrand stand, kurz bevor man den Wildsee erreichte. Er hatte ein freundliches, altes Gesicht, das dem von Großvater sehr ähnelte. Damit zog sie ihn immer auf und sie scherzten jedes mal, wenn sie vorbeikamen. Den Tannensamen, den sie immer noch fest in ihrer Hand hielt wollte sie dort ganz in der Nähe in die Erde legen. Für sie war das der perfekte Ort.
Inzwischen war es schon beinahe Morgen.
Sie steckte den Samen vorsichtig in ihre Jackentasche, zog ihre Schuhe an und machte sich auf den Weg zum See.
Es war etwa eine Stunde Fußmarsch und sie gelangte an eine Stelle von wo aus sie den ersten Blick hinab auf den See erhaschen konnte. Die Sonne ging gerade auf und tauchte den Himmel in die allerschönsten Farben. Oh, wie Joris das gefallen hätte! „Vielleicht bist du jetzt ja genau dort, wo diese schönen Farben sind?!“ sagte sie leise und begann langsam zum See hinabzusteigen. Haruki war froh, dass es schon hell wurde, denn der Weg war nicht ganz ungefährlich. Viele Steine und Wurzeln luden regelrecht zum Stolpern oder Ausrutschen ein. Im Dunkeln könnte sie hier wirklich nicht laufen.
Trotzdem übersah sie eine Wurzel und stolperte, nachdem sie bereits einige Kehren hinter sich hatte. Zum Glück schürfte sie sich aber nur das Knie etwas auf und konnte ohne Probleme weitergehen. Vorbei an vielen vermoosten und bewachsenen Baumwurzeln, über Stämme von umgestürzten Bäumen, über die sie klettern musste, kam sie bald an der Stelle an, an der sie Großvaters Samen in die Erde legen wollte.
Sie fasste in ihre Tasche um ihn herauszuholen. Ihre Finger suchten, doch sie fanden nichts. Vorsichtig stülpte sie ihre Jackentasche nach außen um, doch kein Samen war zu finden! Das durfte nicht sein! Hatte Haruki ihn etwa beim Sturz verloren? Oder als sie über einen der Stämme geklettert war? Sie lief den ganzen Weg nochmal ab, doch sie konnte sich nicht einmal mehr an die Stelle erinnern, an der sie über die Wurzel gestolpert war. Haruki wusste, dass es unmöglich war, in diesem Wald einen einzelnen Samen wieder zu finden und fing an kläglich zu weinen. Konnte sie nichts mehr tun??? Traurig und erschöpft setzte sie sich zu dem Baum mit dem freundlichen Gesicht und erzählte im unter Schluchzen, was vorgefallen war. Sie saß lange hier und machte sich erst auf den Heimweg, als die Abendsonne schon auf den See schien.
Jahre vergingen und das Gefühl des Versagens verging nicht, sondern nagte jeden Tag an ihr und ließ sie nie wieder an diesen Ort zurückkehren.
Doch in einer Vollmondnacht, etwa 9 Jahre nach Joris‘ Tod hatte sie einen sehr unruhigen Schlaf und viele verrückte und wirre Träume.
An einen davon konnte sie sich nach dem Aufwachen noch sehr gut erinnern:
Um sie herum glitzerte alles wie von tausenden Sonnenstrahlen, die auf die Wasseroberfläche treffen. Von allen Seiten hörte sie fröhliches Gelächter. Wie das von Feen. Sie schaute sich um und sah, dass sie am Ufer des Wildsees stand. Ein Stück weit den Weg hinauf stand eine Gestalt und winkte ihr fröhlich zu. Sie sah aus wie ihr Großvater als er noch etwas jünger gewesen war. Er machte ihr Zeichen, als wolle er, dass sie zu ihm kam. Wollte er ihr etwas zeigen? Im Traum begann Sie auf Joris zuzulaufen …
…. dann wachte sie auf.
Der Traum erschien ihr aber so real, dass sie den Drang verspürte, wie vor Jahren noch vor Sonnenaufgang loszugehen. Haruki hatte das Gefühl, dass dieser Traum etwas zu bedeuten hatte. Sie hätte schwören können, dass sie das Feenlachen nach dem Aufwachen immer noch vor der Hütte hören konnte.
Wie damals, vor neun Jahren, stieg sie kurz nach der Morgendämmerung den Weg zum See hinab und entdeckte kurz vor dem See, ganz in der Nähe des freundlichen Baumes eine große Tanne. Sie war etwas bizarr gewachsen und sie wusste, dass sie, obwohl sie schon so alt schien, früher noch nicht dagewesen war. Da war sich Haruki ganz sicher. Und genau hier hatte sie auch damals den Samen von Joris einpflanzen wollen.
Sie berührte die Rinde des Baumes und stellte sich vor, es wäre Großvaters Tanne. Der Gedanke zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen.
Wieder hörte sie ein leises Lachen. Oder nein: Dieses mal war es eher ein Kichern wie von kleinen Kindern, die dir einen Streich spielen wollen. Es kam von ganz oben im Baum.
Sie schaute hoch, konnte aber nichts sehen. Plötzlich spürte sie einen leichten Windzug an ihrer Seite, obwohl es überhaupt nicht windig war.
Das konnte doch nur eine Fee sein! Da war sie ganz sicher. Und sie hatte Recht. Auf einem kleinen Ast wurde auf einmal ein kleines Wesen sichtbar. Fröhlich grinsend, mit dünnen Flügeln, einem hübschen Kleidchen aus Birkenblättern und verfilztem Haar streckte ihr die kleine Fee die winzige Hand entgegen. Haruki stupste mit dem kleinen Finger leicht dagegen. Zum Schütteln sind Feenhände nämlich zu klein.
„Ich bin Tina“, sagte das kleine Wesen. Und du musst Haruki sein. Dein Großvater hier hat mir schon viel von dir erzählt und wir beide warten schon seit Jahren geduldig, dass du ihn besuchen kommst.“ Sie deutete auf den Baum.
Haruki konnte es nicht glauben. Konnte das wirklich die Großvatertanne sein? „Aber ich habe damals doch den Samen gar nicht eingepflanzt?!“
Tina erzählte ihr, wie sie an dem Tag vor neun Jahren gelauscht hatte, als Haruki dem freundlichen Baum ihr Leid geklagt hatte. Sie wurde ein bisschen rot, denn sie wusste, dass das ungezogen war und es war ihr ein bisschen peinlich. Aber kleine Feen sind nun mal sehr neugierig. Nachdem Haruki damals verschwunden war, hatte sie sofort alle ihre Freunde zusammengerufen um den Samen zu suchen. Und dank Harukis aufgeschürftem Knie hatten sie ihn tatsächlich gefunden. Da war nämlich ein kleines Stück Stoff ihrer Hose an einer Wurzel hängen geblieben. Gleich ein paar Zentimeter daneben hatte damals der Samen gelegen.
Tina hatte ihn eingesäht, gegossen und auf ihn aufgepasst. Seidem er groß genug ist wohnt sie sogar mit ein paar anderen Feen hier im Baum. Bei windigem Wetter, wenn die Äste zu flüstern beginnen, lauschen sie so gerne seinen Geschichten, die er von früher aus seiner Zeit mit Haruki erzählt.
Und falls du mal hier unterwegs bist und die Großvatertanne entdeckst, dann versuche ganz, ganz leise zu sein. Vielleicht kannst du dann Tina und ihre Freunde lachen hören. Sie freuen sich nämlich immer unheimlich, wenn jemand die Großvatertanne besuchen kommt.
Wenn du echt Glück und gute Augen hast, dann kannst du die Feen, wenn die Sonne scheint, im Glitzern des Wildsees sehen. Es sind nämlich nicht immer nur die Sonnenstrahlen, die man dort sieht. Ganz oft ist es nicht das Wasser, sondern es sind die kleinen Feen, deren Flügel sich im Sonnenlicht spiegeln. Die Flügel sind nämlich ganz durchsichtig und darum das einzige Körperteil, das eine Fee nicht unsichtbar machen kann. Du kannst die kleinen Flügelchen auch nur sehen, wenn die Sonne gerade im richtigen Winkel auf sie strahlt.
Wir parken immer am Skilift Ruhestein und laufen dann den Skihang hinauf. Dort geht es weiter in Richtung Wildseeblick und bald zum Abstieg zum See hinunter. Es ist hier besser, stabile Schuhe anzuhaben, weil der Weg nicht ganz ohne ist – aber das hast du ja schon mitbekommen.
Du kommst dann an der Großvatertanne vorbei (das ist der Baum auf dem vorletzten Foto). Am Wildsee kann man schön eine Pause machen. So wie Haruki und Joris es früher immer getan haben. Aber bitte lass‘ hier keinen Müll liegen, sondern packe alles wieder in deinen Rucksack ein und nimm es mit nach Hause. Die Müllabfuhr kommt hier nämlich nicht vorbei ;).
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